Kurzgeschichten aus der Apotheke — Teile 3–7
Blutregen, Cholin/Codein, “Ich habe ein Problem!”, Der Spritzer, Die Wurzel allen Übels

Version vom 18.12.2019 — Bitte bis ganz nach unten scrollen. Danke.
Teil 3: Blutregen
Ein Mann trat an den HV-Tisch und legte mir ein Rezept hin. Als ich ihn begrüßte, sah ich, dass Blut aus seinem Mund lief.
Ich sagte: “Da läuft Blut aus Ihrem Mund!”, und fragte ihn, ob er ein Taschentuch möchte. Er verneinte, erklärte mir aber, dass er gerade vom Zahnarzt komme. Ich nahm sein Rezept und bearbeitete es. Leider hatten wir aber nicht alles da, daher bot ich ihm an, die fehlenden Arzneimittel zu bestellen. Doch er wollte sie sofort. Jetzt sofort. Also legte ich ihm sein Rezept wieder hin.
Er wollte wissen, wie lange es denn dauern würde, falls ich es doch bestellte.
Um auf diese Frage antworten zu können, musste ich das Rezept erneut bearbeiten und dann beim Großhandel anfragen, wann das fehlende Arzneimittel bei uns ankommt.
Als ich das Rezept nehmen wollte, sah ich, dass es voller Blutspritzer war und je mehr er versuchte, mit mir zu reden, desto mehr Blut regnete über den gesamten HV-Tisch, über die Bonbons, über meinen Computer und über meinen frisch gewaschenen, blütenweißen Kittel.
Es sah aus, wie bei Dexter.
Für einen Arzt mag das durchaus normal zu sein, wenn er mal mit fremdem Blut vollgespritzt wird. Für einen Apotheker ist es das eher nicht.
Der Kunde nahm sein Rezept wieder an sich und ging. Ohne ein Wort der Entschuldigung. Es schien ihm egal zu sein.
Ich wechselte den Kittel, reinigte mein Gesicht mit Wasser und hoffte, dass ich nicht doch noch irgendwelche Spritzer übersehen habe.
Da die Apotheke voll war, ging ich an die nächste freie Kasse und arbeitete weiter, während unsere Reinigungskraft versuchte, den Vorher-Zustand wieder herzustellen.
Noch Stunden später fand ich einzelne Tropfen seines Blutes. Blutregen.
Teil 4: Cholin/Codein
Es gibt Kunden, bei denen hofft man, dass der Kelch an einem vorüber geht und sie zum Kollegen gehen. Und manchmal wird die Hoffnung jäh zerstört und der Kelch landet direkt in deiner Hand. Bzw. die Kundin an meinem HV-Tisch. Wegrennen zwecklos.
Die Kundin dieser Geschichte ist extrem unfreundlich. Immer. Und sie scheint ein massives Problem mit mir zu haben. Warum, das weiß ich nicht und ehrlich gesagt, ist es mir auch egal.
Noch bevor ich sie begrüßen konnte, zischte sie:
“Ich will mein Codein abholen, das ich telefonisch bestellt habe!”
Widerwillig nannte sie mir ihren Namen und ich ging nach hinten, um ihr Codein zu holen. Doch da war kein Codein. Ich suchte und suchte, aber fand kein Codein. Also holte ich mir Hilfe von unserer PKA und wir suchten und suchten, aber fanden es beim besten Willen nicht.
Ich ging also wieder zu ihr nach vorne.
Pokerface.
“Wann hatten Sie das Codein denn bestellt?”, fragte ich nach.
“Nicht Codein. Cholin”, erwiderte sie genervt.
Sie sprach es mit K aus.
Für all die Hustensaft-Rapper unter euch: Cholin und Codein reimt sich perfekt. Wenn nicht, sprecht es anders aus. Was los, Digger?
Ich ging also wieder nach hinten, fand sogleich das Cholin und brachte es ihr freudestrahlend nach vorne. Doch sie erwiderte meine Fakefreude nicht. Ihr Blick: Kalt wie Eis.
Nachdem sie bezahlt hatte, wollte sie mich bewerten, um ihre extrem schlechte Erfahrung, die sie soeben mit mir erleiden musste, zu unterstreichen.
Wir haben vorne an der Kasse einen Bildschirm, auf dem drei Smileys erscheinen. Gut, neutral und schlecht gelaunt. Das bietet der Hersteller unserer Software an und die Bewertungen schaut sich bei uns sowieso niemand an. Sie sind also völlig unwichtig, egal ob gut oder schlecht.
Doch ihr war es wichtig. Aber leider, oh leider, war sie nicht schnell genug und die Smileys waren schon wieder verschwunden, bevor ihr hasserfüllter Finger meinen Anfang vom Ende besiegeln konnte.
Das gefiel ihr überhaupt nicht! Wollte sie mich doch bestrafen.
“Wo sind die Smileys hin, können Sie die zurückholen?”
Ihr wütendes Gesicht erhellte sich nicht, als sie mein strahlendes Gesicht erblickte.
“Nein, leider nicht”, entgegnete ich.
Natürlich sehr bedauernd.
“Dann bekommen Sie halt beim nächsten Mal eine Bewertung von mir!”
Sie war rot vor Zorn.
“Ich freue mich schon darauf”, war meine freundliche Antwort
Diese Antwort war nicht nach ihrem Geschmack. Wütend stampfte sie Richtung Ausgang.
Auf meine Frage, ob sie noch eine Apotheken-Umschau mitnehmen möchte, reagierte sie nicht mehr. Komisch.
Teil 5: “Ich habe ein Problem!”
Eine 50 jährige Frau kam zu mir an den HV-Tisch und begann das Gespräch mit dem folgenden Satz:
“Ich habe ein Problem!”
Jeder, der in der Apotheke arbeitet, weiß genau was jetzt kommt. Denn, als würden sich alle Kunden absprechen, bedeutet dieser Satz immer, dass etwas Rezeptpflichtiges benötigt wird, man aber kein Rezept hat.
Ich stellte mich dumm.
“Ja, bitte?”
“Es ist so: Ich habe kein Utrogest mehr und mein Frauenarzt ist leider nicht da”, erklärte sie mir.
“Dann müssten Sie zu einem anderen Arzt gehen, der Ihnen das verordnet.”
Liebend gerne hätte ich erwidert: “Das Wort rezeptpflichtig bedeutet, dass ein Rezept Pflicht ist”, aber ich sagte es ihr nicht.
“Ich soll einfach zu einem anderen Arzt gehen, der mich gar nicht kennt?”
“Ganz genau. Denn abgesehen davon, dass ich Sie auch nicht kenne, würde ich mich sogar noch strafbar machen, wenn ich Ihnen das rezeptpflichtige Arzneimittel ohne Rezept geben würde.”
Sie war empört.
“Das ist ja unglaublich. Ich fasse es nicht! Hier komme ich nie wieder her!
“Das ist bedauerlich”, sagte ich nicht ganz ehrlich.
Verständnislos drehte sie sich um und ging. Den kompletten Weg vom HV-Tisch bis zur Tür schüttelte sie ihren Kopf, als wäre sie ein Heavy-Metal-Fan.
In fast jedem Fall, wenn jemand etwas Rezeptpflichtiges braucht, aber kein Rezept hat, gibt es einen legalen Weg. Wir riskieren unsere Approbation, wenn wir etwas ohne Rezept rausgeben und machen uns strafbar. Aber das ist natürlich nicht so schlimm, wie zu einem Arzt zu gehen, den man nicht kennt.
Teil 6: #DerSpritzer
Ein älterer Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, kam auf mich zu und wollte mir etwas überreichen. Reflexartig nahm ich es entgegen.
Reflexartig, weil dieser Vorgang über 100 Mal am Tag stattfindet, wenn mir ein Kunde ein Rezept in die Hand drückt. Doch dieses Mal war es kein Rezept. Es war eine kleine durchsichtige Tüte mit Spritzen drin.
“Entsorgen Sie das!”
Keine Bitte, sondern ein Befehl. Ich hielt es ihm hin und sagte, dass wir keine Altmedikamente entgegen nehmen würden.
“Sie sind dazu verpflichtet!”
“Nein, wir sind nicht dazu verpflichtet und Spritzen nehmen wir sowieso nicht an.”
Viele Menschen haben in ihrem Kopf, dass man alte Arzneimittel einfach in der Apotheke abgeben kann, wenn man sie nicht benötigt hat. Das mag in einigen Apotheken so sein, aber wir nehmen keine mehr an. Früher ja, jetzt nicht mehr. Dazu kommt, dass bei Spritzen immer die Gefahr besteht, dass man sich an der Nadel verletzen kann.
Altarzneimittel können einfach in den Hausmüll geworfen werden, dieser wird ganz einfach verbrannt. Nur, und das ist sehr wichtig, dürfen Altmedikamente nicht über das Abwasser entsorgt werden. Die Umwelt hasst das.
Seit ein paar Jahren müssen die Apotheken für die Entsorgung der Altmedikamente bezahlen, was dazu geführt hat, dass sie nur noch in einigen wenigen Apotheken angenommen werden.
Doch der liebe Herr wusste das besser:
“Doch Sie sind dazu verpflichtet!”
“Sie können die Spritzen ganz normal über den Hausmüll entsorgen, der wird verbrannt”, erklärte ich ihm.
Er ließ nicht locker.
“Sie entsorgen das. Ich nehme die Spritzen nicht wieder mit.”
Ich wurde leicht wütend aufgrund seines unverschämten und respektlosen Verhaltens. Ich gab ihm mehr als deutlich zu verstehen, dass er sie gefälligst wieder an sich nehmen solle. Doch das interessierte ihn nicht. Er ging gleichgültig Richtung Ausgang. Dreckig lachend.
Ich fragte meine Kollegin, ob ich ihm die Spritzen an den Kopf werfen sollte, aber sie fand die Idee nicht ganz so ausgeklügelt.
Also schmiss ich ihm die Spritzen nicht an den Kopf, sondern zähneknirschend in den Hausmüll.
Teil 7: Die Wurzel allen Übels
Ring. Telefon.
“Guten Tag.”
“Guten Tag, Peppa Wutz am Apparat.”
“Guten Tag, Frau Wutz, was kann ich für Sie tun?”
“Ich wollte fragen, ob sie mir eine Vaginalcreme herstellen könnten. Aus Yamswurzel.”
“Aus Yamswurzel? Eine Vaginalcreme?”
“Ja, meine homöopathische Ärztin hat mir das empfohlen, weil ich keine Östrogene nehmen will. Ich will keine Chemie.”
Meine Schwurbelsirene ertönte in just diesem Moment.
“Wir sollen Ihnen eine homöopathische Yamswurzelvaginalcreme herstellen, verstehe ich Sie da richtig?”
“Nein, nicht homöopathisch. Nur halt ohne Chemie.”
“Ohne Chemie wird das schwierig, denn alles ist Chemie. Moment, ich schaue mal nach, wie das so mit den Studien ist. Ob es da einen Wirknachweis gibt.”
Kleine Nachtmusik.
“Tut mir leid, es gibt keine nachgewiesene Wirkung.”
“Sie wissen ja, wie das mit den Studien ist.”
“Nein, wie denn?”
“Na, die meisten sind gefälscht.”
“Nein, das entspricht im Großen und Ganzen nicht der Wahrheit. Auch wenn es vereinzelt gefälschte Studien gibt, wie die von Wakefield zum Beispiel.”
“Davon weiß ich nichts. Aber vielen Dank für Ihre Hilfe.”
“Gerne.”
“Auf Wiederhören.”
“Auf Wiederhören.”
Puh, keine Yamswurzelvaginalcremerezeptur.
Über Ovations würde ich mich freuen. Danke! 😘 #DerApotheker
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Danke für stilistische und orthographische Korrekturvorschläge an Dr. Ulrike Koock alias Schwesterfraudoktor.