Die nervöse Tochter und die mündliche Prüfung

Geschichten aus der Apotheke — Teil 9

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Bild von DivvyPixel auf Pixabay

Version vom 15.07.2020

Eine Frau in ihren Vierzigern, betrat vor ein paar Tagen die Apotheke und schien irgendetwas zu suchen. Nachdem sie sich eine Weile in unserer Freiwahl umsah, kam sie auf mich zu und sprach mich an. “Guten Tag, ich habe ein kleines Problem.” Normalerweise fangen so die Gespräche an, in denen jemand etwas Verschreibungspflichtiges benötigt, aber kein Rezept hat. “Okay, was ist denn los?”, wollte ich wissen. “Also meine Tochter hat Ende nächster Woche ihre mündliche Prüfung und ist extrem nervös und schläft deshalb auch ziemlich schlecht. Wenn überhaupt. Ich bräuchte was für sie, damit sie mal ein bisschen runter kommt und vielleicht auch was, damit sie besser einschlafen kann.” Natürlich benötigte ich mehr Informationen, um ihr etwas empfehlen zu können. “Wie alt ist denn Ihre Tochter?”, hakte ich nach. Sie schien einen Moment lang zu überlegen. “Zwanzig. Sie ist gerade Zwanzig geworden”, antwortete sie mir. “Okay. Also, um besser einschlafen zu können, würde ich zum Beispiel Hoggar Night empfehlen, das kann sie dann kurzfristig einnehmen. Zur Beruhigung gibt es leider nichts. Zumindest nichts, das man ohne Rezept kaufen könnte und das dann auch noch eine Wirkung hat, die über den Placeboeffekt hinausgeht”, erklärte ich wahrheitsgemäß. “Höchstens Baldrian, aber der wirkt erst nach ungefähr zwei Wochen und auch nicht so stark, dass sie dann völlig relaxed in der Prüfung sitzen würde.”

Ich sah ihr deutlich an, dass meine Aussage sie nicht wirklich zufriedenstellte. Die ganze Zeit über wanderte ihr Blick durch die gesamte Sichtwahl, als hätte ich ihr ausgerechnet DAS Mittel verheimlicht, das ihrer Tochter sofort helfen würde. Oder sie hatte schlicht kein Vertrauen in mich. Das passiert immer dann, wenn der Kunde das, was man ihm sagt, nicht glauben möchte. Wie in diesem Fall. “Es kann doch nicht sein, dass es überhaupt nichts gibt!”, sagte sie frustriert. Ich zuckte mit den Schultern. “Ich habe nicht gesagt, dass es überhaupt nichts gibt, ich habe nur gesagt, dass es nichts ohne Rezept gibt. Ein Arzt könnte Ihrer Tochter zum Beispiel einen Betablocker verordnen, der die Wirkung des Adrenalins, sowie die des Noradrenalins hemmt. Die Konsequenz wäre zum Beispiel, dass das Herz dadurch langsamer schlagen würde. Man…

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